Was ist ein Menschenleben wert?
von Beate Jenkner, Aufstehen Bayern e.V.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat im Zuge der Pandemie ein Hilfspaket für Krankenhäuser vorgelegt, das heftigen Protest der Kliniken ausgelöst hat. Darin enthalten sind:
- Ausgleich von Einnahmeeinbußen für Krankenhäuser, weil sie Intensivbetten für Coronavirus-Patienten frei machen müssen.
- Die Ausfälle durch Verschiebung oder Aussetzung planbarer Aufnahmen, Eingriffe oder Operationen sollen durch Pauschalbeträge ausgeglichen werden.
- Rückwirkend soll es Geld für leere Betten geben.
- Für zusätzliche Intensivbetten sollen festgelegte Schwerpunktkliniken einen Bonus bekommen.
- Die Länder sollen Vorsorge- und Rehaeinrichtungen für die akutstationäre Behandlung Infizierter bestimmen können.
Finanzhilfen für teure Schutzausrüstung sind nicht vorgesehen.
Das vorgelegte Hilfspaket zeigt, dass unser Gesundheitsminister keine Ahnung hat, wovon er redet. Wie sieht die Realität aus?
Den Krankenhäusern fehlt es an Schutzkleidung, an Masken, an Handschuhen, an Desinfektionsmitteln. Es gibt schlichtweg keine mehr. Die ambulanten Pflegedienste haben ebenfalls keine, Arztpraxen schließen reihenweise, weil sie keinen Schutz haben oder die ArzthelferInnen infiziert sind. Die Praxen, die noch offen haben, laufen auf Notversorgung.
Hinzu kommt, dass die ambulanten Pflegedienste seit 1. April dazu angehalten sind, die Versorgung der pflegebedürftigen PatientInnen im häuslichen Bereich auf ein Minimum zu reduzieren. Die Folge ist, dass die ambulanten Pflegedienste statt einmal am Tag nur alle 2 Tage kommen, oder statt der notwendigen 3 Pflegebesuche täglich nur noch einen machen können. Und das geht auch nur so lange gut, so lang sich keine einzige Pflegekraft infiziert.
Ein Übergreifen der Infektionen auf das ambulante Pflegepersonal wäre der Supergau. Die häusliche Versorgung der Pflegebedürftigen bräche damit komplett zusammen. Das ist kein utopisches Horrorszenario, sondern die bittere Realität, die in naher Zukunft über alle Hilfsbedürftigen hereinbrechen wird.
Wo ist hier der Rettungsplan?
Welche Pflegeeinrichtungen werden die PatientInnen kurzfristig aufnehmen können?
Einfache Antwort: So gut wie keine.
Einen Platz in der Kurzzeitpflege oder in einem Pflegeheim zu finden war lange vor Corona schon äußerst problematisch, lange Wartelisten der Normalfall und einen Platz in dem Heim zu finden, in das man gerne gehen wollte, glich einem Lottogewinn.
Was also ist der Plan von Herrn Spahn für die geschätzt über 100.000 PatientInnen allein in Bayern, die ohne ambulanten Pflegedienst nicht überleben können? Nebenbei bemerkt spricht keiner über die Menschen, die zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden. Das sind fast 3-mal so viele. Was, wenn hier ein Angehöriger erkrankt?
Es gibt keine Ersatzkräfte. Es gibt keine austauschbaren Angehörigen. Es gibt keine freien Plätze in Pflegeheimen und Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Egal, mit welchen HelferInnen aus welchen Bereichen man spricht, bei allen ist die pure Verzweiflung nicht mehr zu überhören.
Eine Verzweiflung, die immer mehr auch alle normalen, behandlungsbedürftigen PatientInnen befällt. Die KrebspatientInnen, die Diabetiker, die HerzpatientInnen, die SchlaganfallpatientInnen und viele mehr. Ihr behandelnder Arzt ist nicht mehr erreichbar, ihre Medikamentenversorgung ist in Gefahr, ihre teils lebenswichtigen Behandlungen im Krankenhaus stehen auf der Kippe oder sind zum Teil schon ausgesetzt.
Herr Spahn bietet den Kliniken Ausfallentschädigungen für verschobene Eingriffe an. Wie definiert er dies? Kann ein Krebspatient mit Metastasen 6 oder 10 Monate auf seine unter Umständen lebensrettende Operation warten? Können Dialysen verschoben werden oder begrenzt werden? Wie hoch ist das Risiko, bei Nichtbehandlung oder verzögerter Behandlung an den Folgen zu sterben? Was macht das psychisch mit den betroffenen PatientInnen?
Und wie soll die Versorgung der NotfallpatientInnen erfolgen? Wir haben bereits vor Corona Horrormeldungen gelesen, dass Krankenwägen mit NotfallpatientInnen von Klinik zu Klinik irren und keine Notaufnahme sie nehmen konnte. Glaubt denn ernsthaft irgendeiner, dass dies jetzt besser sein wird?
- Welche Arztpraxis wird noch für alle Arten von Verletzungen oder gesundheitlichen Problemen zur Verfügung stehen?
- Wer zählt die Menschen, die aufgrund mangelnder Versorgung Langzeitschäden davontragen oder gar sterben?
- Wie hoch ist der Preis für all diese Menschen, die die Folgen der jahrelangen Kürzungen und Personaleinsparungen zu Gunsten des Profits zu tragen haben?
- Wie hoch ist der Preis für das gesamte medizinische Personal, dass helfen will, aber nicht kann, und für jeden Arzt und jede Ärztin, die entscheiden sollen, wer behandelt wird und wer nicht?
- Kann sich Gesundheitsminister Spahn auch nur im Entferntesten vorstellen, welche psychischen Belastungen er dem Personal hier aufbürdet?
- Wohl kaum.
Gesundheitsminister Spahn beharrt nach wie vor darauf, Deutschland sei gut auf den Corona-Ausbruch vorbereitet. Und lobt unser „vorbildliches“ Gesundheitssystem.
Eine Einschätzung, wie weit man das als Hohn verstehen will, überlasse ich dem/der geneigten Leser/in.